Sozialgericht Willkür, rechtswidrige Mahnung durch Jobcenter, Drohung mit Zwangsvollstreckung

  1. Sachverhalt und Verfahrensgang

Bis zum 31.10. bezog die Beschwerdeführerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II vom Jobcenter. Nachdem sie zum 01.11. eine Beschäftigung aufgenommen hatte, forderte das Jobcenter die Leistungen aus Oktober zurück. Hiergegen erhob sie Widerspruch und Klage vor dem Sozialgericht. Über die Klage ist bisher nicht entschieden worden.

Statt auf die Klage zu erwidern, schickte die Bundesagentur für Arbeit mit Datum vom 02.07. eine Mahnung betreffend des strittigen Betrags und schrieb, daß “die zwangsweise Einziehung der Forderung veranlasst” wird, soweit nicht innerhalb einer Woche gezahlt würde.

Unter der in der Mahnung angegeben Telefonnummer kontaktierten wir die Bundesagentur für Arbeit und wies darauf hin, daß aufgrund der anhängenden Klage beim Sozialgericht eine zwangsweise Einziehung nicht rechtmäßig sei. Die Mitarbeiterin der Bundesagentur teilte darauf mit, daß sie nicht zuständig sei, und die zuständige Abteilung leider nicht erreichbar sei. Das Sozialgericht teilte auf telefonische Anfrage mit, wir sollen eine Einstweilige Anordnung beantragen. Dies taten wir dann mit Schreiben vom 07.07.

Eine schriftliche Reklamation beim Jobcenter wurde lediglich dahingehend beantwortet, daß mir mit Schreiben vom 24.07. mitgeteilt wurde, daß mein Schreiben innerhalb der Bundesagentur weitergeleitet worden sei.

Mit Schreiben vom 25.07. teilte die Bundesagentur für Arbeit dem Sozialgericht mit, daß mein Antrag abzulehnen sei, es sei mir zuzumuten, mich zunächst “ persönlich ” (Hervorhebung auch im Original) mit dem Jobcenter in Verbindung zu setzen. Gleichwohl werde “die Vollstreckung der Forderung für zunächst 6 Monate ausgesetzt”.

Mit Schreiben vom 01.08. bat das Sozialgericht daraufhin um Antragsrücknahme, und forderte mit Schreiben vom 07.08. um “Erledigung der gerichtlichen Verfügung vom 01.08.”, “Frist: binnen 3 Tagen”, so daß ich den Antrag am 10.08. zurückgenommen habe.

Daraufhin schickte mir die Bundesagentur für Arbeit mit Datum vom 15.08. eine erneute Mahnung betreffend des strittigen Betrags und schrieb erneut, daß “die zwangsweise Einziehung der Forderung veranlasst” wird, soweit nicht innerhalb einer Woche gezahlt würde.

Daraufhin beantrage ich am 20.08. erneut beim Sozialgericht, es der Bundesagentur für Arbeit zu untersagen, den strittigen Betrag aus dem Verfahren vor einer anderslautenden gerichtlichen Entscheidung zwangsweise einzuziehen, und verwies auf § 86a SGG, aus dem sich die aufschiebende Wirkung der Klage ergibt. Das Sozialgericht vergab das Aktenzeichen.

Die Bundesagentur für Arbeit schrieb dem Sozialgericht mit Schreiben vom 27.08., der Antrag sei abzulehnen, er könne “keinen Erfolg haben”. Die Vollstreckung werde aber “zunächst” ausgesetzt.

Das Sozialgericht bat erneut um Antragsrücknahme. Die Antragsgegnerin habe die Vollstreckung “zunächst wieder ausgesetzt”.

Unter Hinweis darauf, daß die Antragsgegnerin die Forderung weiterhin nicht anerkennt, bat ich um richterliche Entscheidung.

Daraufhin erging der Beschluss vom 11.09. des Sozialgerichts. Darin stellt das Sozialgericht fest, daß Widerspruch und Klage zwar grundsätzlich aufschiebende Wirkung haben. Mein Antrag sei jedoch “mittlerweile unzulässig”. Aufgrund der “Zusicherung” der Antragsgegnerin bestehe kein Rechtsschutzbedürfnis mehr.

Hiergegen erhob ich am 16.09. Beschwerde, hilfweise (da der Beschluss unanfechtbar sei) Gehörsrüge. Der Antrag könne nicht unzulässig sein, da die Antragsgegnerin erst zeitlich nach meinem Antrag die Vollstreckung zunächst ausgesetzt habe. Die erneute Ankündigung der Zwangsvollstreckung sei erfolgt, obwohl kurz zuvor gegenüber dem Gericht behauptet worden sei, die Zwangsvollstreckung sei eingestellt. Die erneute Zusicherung der Antragsgegnerin sei daher nicht glaubhaft, zumal sie auch ausdrücklich unverbindlich und unbestimmt gehalten ist.

Mit Schreiben vom 24.10. schickte mir die Bundesagentur für Arbeit eine erneute Mahnung mit erneuter Ankündigung einer Zwangsvollstreckung. Diese bezieht sich zwar formal auf eine andere Rückforderung, also bezüglich eines anderen Leistungszeitraums. Jedoch ist auch gegen diese Rückforderung seit Zustellung des Rückforderungsbescheids im August ein Widerspruch anhängig, so daß auch hier die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs zu berücksichtigen wäre. Ferner sind Ratenzahlungen auf diese Forderung geleistet worden, welche jedoch offenbar nicht vollständig der betreffenden Rückforderung zugeordnet worden, sondern möglicherweise der Rückforderung betreffend des Leistungszeitraums auf dem sich o.g. Klage bezieht. Dies konnte bisher nicht geklärt werden, weil die Bundesangetur noch nicht auf meine Frage geantwortet hat, wie sich der angemahnte Betrag zusammensetzt, und wieso nicht alle meine Ratenzahlungen darin enthalten sind.

Mit Beschluss des Sozialgerichts vom 13.11. wurde mein Schreiben vom 16.09. als Anhörungsrüge behandelt und zurückgewiesen. Daß (wie von mir reklamiert) “entscheidungserhebliche Umstände durch das Gericht offensichtlich nicht zur Kenntnis genommen oder übergangen worden” seien stelle “- unabhängig davon ob zutreffend oder nicht – keine Verletzung des rechtlichen Gehörs der Antragstellerin im Sinne des Artikel 103 Abs. 1 Grundgesetz dar”.

  1. Verstoß gegen Artikel 103 Abs. 1 GG (Anspruch auf rechtliches Gehör)

Gemäß Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 31. August 2011 (2 BvR 1979/08) kann eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG “darin liegen, dass eine für den Prozessausgang wesentliche rechtliche Erwägung einer Prozesspartei überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (vgl. BVerfGE 65, 293 <295>; 70, 288 <293>; 86, 133 <145 f.>). Allerdings muss sich im Einzelfall klar ergeben, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist, denn grundsätzlich ist davon auszugehen, dass ein Gericht das von ihm entgegengenommene Vorbringen der Beteiligten auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Die Gerichte brauchen nicht jedes Vorbringen der Beteiligten in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich zu bescheiden (vgl. BVerfGE 42, 364 <368>; 86, 133 <145 f.>). Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG liegt danach nur dann vor, wenn im Einzelfall besondere Umstände deutlich ergeben, dass das Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung ersichtlich nicht erwogen worden ist (BVerfGE 47, 182 <187 f.>; 70, 288 <293>; 86, 133 <146>). Besondere Umstände liegen etwa vor, wenn das Gericht auf den wesentlichen Kern des Vortrags einer Partei zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, nicht eingeht, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war”.

Wie das Sozialgericht zutreffend erkennt (Seite 3 des Beschlusses vom 11.09.), betrifft mein Antrag die Feststellung der aufschiebenden Wirkung. Ein solches Feststellungsinteresse wird im Ergebnis vom Sozialgericht verneint.

Zentrale Frage im Verfahren ist also, inwieweit ich ein Feststellungsinteresse haben könnte, und welche Umstände hierbei zu berücksichtigen seien könnten.

Ein solches Feststellungsinteresse ist regelmäßig zu bejahen, wenn eine Wiederholungsgefahr besteht (siehe dazu unten Abschnitt 3). Im vorliegenden Fall betrifft der Antrag bereits eine Wiederholung der Antragsgegnerin. Eine Erklärung, wie es zu dieser Wiederholung kommen konnte, und wieso die erneute  Zusicherung der Antragsgegnerin glaubwürdiger sein soll als die erste (gebrochene) Zusicherung, geben weder Antragsgegnerin noch Sozialgericht. Daß eine erneute Wiederholung zumindest droht, liegt damit auf der Hand. Hiermit hätte sich das Sozialgericht auseinander setzen müssen.

Auch mit der Frage, ob die Zusicherung überhaupt hinreichend konkret genug ist, um das Feststellungsinteresse auszuräumen, setzt sich das Sozialgericht nicht auseinander. Die Antragsgegnerin hatte in der zweiten Zusicherung noch unverbindlicher als in der ersten formuliert, daß die Vollstreckung nur “zunächst”, also zeitlich völlig unbestimmt und unverbindlich, ausgesetzt werde, und es sich damit offen gehalten, jederzeit wieder eine Vollstreckung einzuleiten.

Ferner hat die Antragsgegnerin jeweils ausdrücklich mitgeteilt, daß der Antrag “keinen Erfolg” haben könne, und daß Kosten nicht zu erstatten seien. Meine Forderung wurde also ausdrücklich nicht anerkannt, sondern sie ist strittig geblieben.

Das Sozialgericht verweigert sowohl im Beschluss vom 11.09. als auch im Beschluss vom 13.11. jede Auseinandersetzung mit diesen entscheidungserheblichen Punkten.

Auf Seite 4 des Beschlusses vom 11.09. verweist das Sozialgericht darauf, daß Hilfe durch das Gericht nur in Anspruch genommen werden dürfe, “soweit das notwendig” sei, nicht jedoch “unnütz oder gar unlauter” zur Verfolgung “nicht schutzwürdiger Ziele”. Darin wird deutlich, daß das Sozialgericht nicht erkannt hat, daß das Verhalten der Bundesagentur für Arbeit rechtswidrig ist und die Ankündigung der rechtswidrigen Zwangsvollstreckung meine Rechte (insbesondere aus § 86a SGG) verletzt.

Ob ein Feststellungsinteresse bestehen könnte, ist vom Sozialgericht also gar nicht erst erwogen worden. Darin liegt gemäß der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG.

Im Beschluss vom 13.11. räumt das Sozialgericht ausdrücklich ein, daß es meint “offensichtlich nicht zur Kenntnis genommen oder übergangene” Umstände seien “keine Verletzung des rechtlichen Gehörs der Antragstellerin im Sinne des Artikel 103 Abs. 1 Grundgesetz” (Blatt 35 der Anlage).

Dies macht deutlich, daß das Sozialgericht hier den Inhalt und die Bedeutung des Art. 103 Abs. 1 GG verkennt.

  1. Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Verbot objektiver Willkür

“Eine Verletzung des Willkürverbots liegt vor, wenn die Rechtsanwendung oder das Verfahren unter keinem denkbaren Aspekt mehr rechtlich vertretbar sind und sich daher der Schluss aufdrängt, dass die Entscheidung auf sachfremden und damit willkürlichen Erwägungen beruht (vgl. BVerfGE 80, 48 <51>; 83, 82 <84>; 86, 59 <63>). Dies ist der Fall, wenn die Entscheidung auf schweren Rechtsanwendungsfehlern wie der Nichtberücksichtigung einer offensichtlich einschlägigen Norm oder der krassen Missdeutung einer Norm beruht (vgl. BVerfGE 87, 273 <279>)” (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 28.07.2014, 1 BvR 1925/13; zitiert nach https://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/rk20140728_1bvr192513.html ).

Einschlägige Norm betreffend des Feststellungsinteresses ist der § 131 Abs. 1 Satz 3 SGG. Danach ist trotz Zurücknahme eines Verwaltungsakts bei “berechtigtem Interesse an der Feststellung” diese vorzunehmen.

Im SGG-Kommentar von Jansen ist zu lesen: “Der Fortsetzungsfeststellungsantrag setzt gemäß § 131 Abs. 1 Satz 3 ein berechtigtes Interesse voraus. Das berechtigte Interesse kann rechtlicher, wirtschaftlicher oder auch ideeller Natur sein. Entscheidend ist, dass die erstrebte gerichtliche Entscheidung geeignet ist, die Position des Klägers zu verbessern (BVerwGE 53 S. 134, 137; BSG, SozR 3-7815 Art. 1 § 3 Nr. 4). Ein Feststellungsinteresse als Sonderform des Rechtsschutzbedürfnisses kommt – abgesehen von Fällen der Präjudiziabilität – im Grundsatz in 3 verschiedenen Richtungen in Betracht: wegen eines Schadensersatzinteresses, eines Rehabilitierungsinteresses und wegen des Wiederholungsvorbeugungsinteresses.” (Zitiert nach http://www.haufe.de/sozialwesen/sgb-office-professional/jansen-sgg-131-sicherung-des-rechtsschutzes-eines-obs-2322-fortsetzungsfeststellungsinteresse_idesk_PI434_HI2965339.html )

Das Bundessozialgericht schreibt im Urteil vom 14.2.2013, B 14 AS 195/11 R: “Die vom Kläger im Revisionsverfahren aufrecht erhaltene Fortsetzungsfeststellungsklage ist nach § 131 Abs 1 Satz 3 SGG hier die richtige Klageart. Nach dieser Vorschrift kann mit der Klage die Feststellung der Rechtswidrigkeit eines zurückgenommenen oder auf andere Weise erledigten Verwaltungsaktes begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat. Ein solches Fortsetzungsfeststellungsinteresse kann unter dem Gesichtspunkt der Präjudizialität und der Wiederholungsgefahr bestehen. Wiederholungsgefahr ist anzunehmen, wenn die hinreichend bestimmte (konkrete) Gefahr besteht, dass unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen eine gleichartige Entscheidung ergeht (vgl BSG SozR 4-4200 § 22 Nr 4 RdNr 7 mwN; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 131 RdNr 10 bis 10 f; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Aufl 2011, Kap IV, RdNr 102). Die Wiederholungsgefahr ist vorliegend zu bejahen, denn der Verlauf des Verfahrens zeigt, dass der Beklagte wiederholt versucht hat, den Kläger in Eingliederungsmaßnahmen einzubeziehen. Es besteht daher eine hinreichend konkrete Wahrscheinlichkeit, dass auch in der nachfolgenden Zeit weitere Maßnahmen zu erwarten sind.” (Zitiert nach http://juris.bundessozialgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bsg&Art=tm&Datum=2013&nr=12982&linked=urt )

Die Beschlüsse des Sozialgerichts beruhen wie oben in Kapitel 2 der Verfassungsbeschwerde beschrieben auf der Nichtberücksichtigung der hier offensichtlich einschlägigen Norm (§ 131 Abs. 1 Satz 3 SGG). Damit liegt eine Verletzung des Willkürverbots vor.

Die Argumentation des Sozialgerichts ist aber auch in sich nicht schlüssig. Einerseits sei der Antrag schon “unzulässig”, andererseits wird eine Kostenteilung vorgenommen.

  1. Verstoß gegen Artikel 19 Abs. 4 GG (Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz) sowie Artikel 101 Abs. 1 GG

Die Betrachtung meines Antrags als “unzulässig”, sowie die Abweisung meiner Gehörsrüge mit der Begründung, daß “entscheidungserhebliche Umstände durch das Gericht offensichtlich nicht zur Kenntnis genommen oder übergangen worden” seien stelle “- unabhängig davon ob zutreffend oder nicht – keine Verletzung des rechtlichen Gehörs der Antragstellerin im Sinne des Artikel 103 Abs. 1 Grundgesetz dar” (wie schon in den Kapiteln 2 und 3 ausführlich dargelegt) verletzen mich auch in meinem Recht auf effektiven Rechtsschutz.

  1. Allgemeine Praxis

Offenbar glaubt die Bundesagentur für Arbeit, sie könne nach Belieben in ihren Mahnungen mit rechtswidriger Zwangsvollstreckung drohen. Und zwar selbst dann, wenn sie zuvor gegenüber einem Gericht eine anderslautende Zusicherung gegeben hat.

Das Sozialgericht glaubt offenbar, nach Lust und Laune entscheiden zu können, ohne dabei den Sachverhalt und die Gesetzeslage zu berücksichtigen oder die Grundrechte der Betroffenen zu respektieren.

Dieser Praxis ist durch das Bundesverfassunggericht entgegen zu wirken.

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